Predigt zum 4. Sonntag vor der Passionszeit am 09.02.2025
gehalten von Pfarrer Markus Lintner
Predigttext: Mk.4,35-41
Wind zieht auf, wird immer stärker, gewaltig. Sturm! Der Himmel verdunkelt sich. Regen peitscht ins Gesicht. Wasser schlägt ins Boot. In ihren Augen: Entsetzen.
Das Boot reitet auf den Wellen, sie haben Angst um ihr Leben. Schreien. Weinen. Beten. Das Boot wird von den Wellen hin und hergeworfen, das Wasser im Boot steigt, mit ihm die Angst.
Eine Szene, die aus einem der vielen Flüchtlingsboote stammen könnte, die oft desolat und führungslos in Richtung Europa unterwegs sind, in der Hoffnung auf Zukunft. Auf Leben.
Oder aus einem Boot auf dem See Genezareth. Der Evangelist Markus erzählt uns davon:
35 Und er sagt zu ihnen an jenem Tag, als es dunkel wurde: „Lasst uns zum anderen Ufer hinkommen!“ 36 Und nachdem sie das Volk weggeschickt haben, nehmen sie ihn, wie er war, im Boot auf, und andere Boote waren bei ihm. 37 Und es kommt ein großer Sturmwind auf, und die Wellen schlugen ins Boot, so dass das Boot vollzulaufen drohte. 38 Und er selbst war auf dem Hinterdeck auf dem Kopfkissen und schlief. Und sie wecken ihn auf und sagen zu ihm: „Lehrer, kümmert es dich nicht, dass wir untergehen?“ 39 Und nachdem er aufgewacht war, bedrohte er den Wind und sagte zu dem Meer: „Sei still und bleibe stumm!“ Und der Sturm wurde müde, und es trat große Stille ein. 40 Und er sagte zu ihnen: „Was seid ihr verzagt? Habt ihr noch nicht Glauben?“ 41 Und es befiel sie große Furcht, und sie sagten zu einander: „Wer ist denn dieser, dass ihm sowohl der Wind als auch das Meer gehorchen?“
Liebe Schwestern und Brüder, ein gewaltiger Sturm hält unsere Welt in Atem. Er braust, tobt und bedroht uns und die Welt, wie wir sie kennen und mögen.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich komme mir momentan vor wie in einer solchen Nussschale, die schutz- und hilflos dem Sturm des Weltmeeres ausgesetzt ist.
Die sogenannte Spezialoperation Russlands in der Ukraine hat den Anfang gemacht und den so sicher geglaubten Frieden nachhaltig in Frage gestellt. Und die Bilder aus Israel und dem Gazastreifen haben dieses Gefühl noch verstärkt. Und die einzige Idee, die wir haben heißt Aufrüstung!
Die Folge: immer mehr Menschen, die versuchen ihre nackte Haut zu retten, sondern damit einhergehend eine politische Entwicklung, die mir Angst macht. Denn eine Sprache, die vor wenigen Jahren noch als ausländerfeindlich verurteilt worden wäre, ist längst salonfähig geworden.
Immer mehr Menschen wählen auf unserem Kontinent Parteien, die rechtsnational, rechtspopulistisch oder faschistisch auf ihre Fahnen geschrieben haben. Und schüren mit ihrer Politik Zwietracht, Hass und Ausgrenzung.
Am meisten Angst macht mir aber der mächtigste Mann der Welt, der von Säuberungen spricht, der mit seiner „Make America great again“-Politik auf jegliche Verantwortung pfeift, die ein so großes Land, eine so mächtige Armee, eine so potente Volkswirtschaft einfach mit sich bringt.
Der Klimawandel und seine Folgen sind für ihn nur dummes Geschwätz. Soziale Verantwortung des Staates ein Fremdwort. Frieden nur dann erstrebenswert, wenn es ihm oder seinem Land einen Vorteil bringt.
Ein Politiker, der auf alle Spielregeln einer Demokratie pfeift und alles tut, um seine Macht zu vermehren. Eine Partei in Geiselhaft, die sich ihm und deinen Ideen scheinbar willenlos unterordnet. Und Mitstreiter*innen, die bereit sind, diese Agenda mitzutragen und voranzutreiben, ohne Rücksicht auf Verluste.
Das Boot unserer westlichen Welt, der liberalen Demokratien schlingert gewaltig, füllt sich mehr und mehr und droht unterzugehen.
Das alles gelingt mit der großen Erzählung, dass es uns furchtbar schlecht geht. Und ja: es gab schon bessere Zeiten, vor allem wirtschaftlich ist es momentan herausfordernd.
Und trotzdem: es geht uns noch immer so gut, wie selten einer Generation vor uns. Wir leben doch in Österreich, in Europa auf einer Insel der Seligen. Wir kennen keine Hungersnöte. Und sind im Fall des Falles ziemlich gut abgesichert durch ein soziales Netz.
Bei allen berechtigten Sorgen ist doch unverständlich, dass in einer solchen Zeit des Überflusses, in der wir nach wie vor leben, dass es Populisten gelingt, alles schlecht zu reden und in Frage zu stellen.
Und dann auch gleich Schuldige zu finden: die bösen Ausländer*innen, die unser Land überfluten sollen. Die ökologischen Forder- und Förderungen, die die Wirtschaft zerstört hätten. Deshalb wird alles, was in den letzten Jahren im Blick auf Bewahrung der Schöpfung und Nachhaltigkeit investiert worden ist, wieder zurückgenommen.
Und das Boot unserer geschundenen und ausgebeuteten Welt füllt sich und ist so kurz davor, unterzugehen, wie noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte.
Die Jünger, die mit Jesus in dem Boot am See Genezareth sitzen, können nicht verstehen, wie Jesus schlafen kann, während sie um ihr Leben fürchten. „Kümmerts dich nicht, dass wir untergehen?“
Ich kann diese Frage verstehen. „Kümmerts dich nicht, dass wir untergehen?“, fragen die, die sich um die Zukunft der Erde sorgen. „Kümmerts dich nicht, dass wir untergehen?“, fragen die, die sich um die politische Zukunft und um die Demokratie Sorgen machen. „Kümmerts dich nicht, dass ich untergehe?“, fragt die Frau, die nach einem Leben im Dienst für andere mit einer furchtbaren Krebsdiagnose fertig werden muss. „Kümmerts dich nicht, dass wir untergehen?“ frag ich mich auch immer wieder im Blick auf unsere Kirche, die auch 2024 so viele Mitglieder verloren hat.
Die wenigsten von uns können auf eine Erfahrung zurückgreifen, wie sie die Jünger erlebt haben. Jesus macht alles heil.
Was wurde in großer Not gebetet, gebettelt – und nichts ist besser geworden. Hat Gott seine Welt schon verlassen? Schläft Jesus? Ist die Kraft des Heiligen Geistes erloschen?
„Warum habt ihr so große Angst? Habt ihr noch immer keinen Glauben, kein Vertrauen zu mir?“, fragt Jesus. Gott hat die Nase noch nicht voll von dieser Welt. Dietrich Bonhoeffer hat dazu formuliert: „Nicht all unsere Wünsche, aber all seine Verheißungen erfüllt Gott.“
All die Schreckensnachrichten sollen mich nicht in die Tiefe ziehen. Bei allem Leiden an den alltäglichen Nachrichten von Gewalt, Krieg, Missbraucht, Leid, politischen Eskapaden und wirtschaftlichen Entwicklungen – auch wenn das Wasser im Boot immer weiter steigt und steigt: gemeinsam, als Gemeinschaft der Heiligen, widerstehen wir allen Untergangsgedanken und Vernichtungsszenarien.
Ich werde weiterhin predigen, reden und beten gegen alle Untergangsstimmungen. Das rettende Ufer bleibt in Sicht, obwohl meine Hoffnung nicht schwimmen kann und mein Glaube sich mit dem Rudern schwertut.
Eine große Hilfe ist mir dabei die Bibel, Gottes Wort, mit ihren vielen großen Erzählungen und Hoffnungsgeschichten. Wie der von der Arche Noah und der Taube, die zuerst mit einem Ölzweig zurückgekehrt ist als Zeichen, dass das Leben weitergeht. Und schließlich gar nicht mehr zurückkommt, weil sie das rettende Ufer, die erblühende Natur – eben Lebensraum gefunden hat.
Auch heute noch gibt es gute Nachrichten und Geschichten, wie das Leben gelingt, trotz allem. Ich denke an das Covergirl Margot Friedländer, die noch als 102-jährige davon erzählt, dass das Leben gegen alle Zerstörungswut anderer gelingen kann.
Ich denke an die jungen Menschen von „Fridays for Future“, die sich für diese Welt und das Klima engagieren und nicht müde werden, uns andere sensibel zu machen für das, was die Natur braucht.
Ich denke an Anika, die sich langsam wieder zurückkämpft in ihr Leben, dass wegen MFCFS so aus den Fugen geraten ist.
Ich brauche solche Hoffnungsgeschichten. Und ich kann sie hören und erleben – jeden Tag, auch in meinem Umfeld. Geschichten, wo sich Stürme des Lebens überraschend gelegt haben.
So lernt die Hoffnung schwimmen und der Glauben beginnt zu rudern hinüber zum rettenden Ufer. All die Hoffnungsbilder geben mir die Kraft dazu darauf zu vertrauen: Jesus sitzt auch bei mir im Boot – gemeinsam sind wir mutig, stark und beherzt. Amen.